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Spekulanten

Gewinn an der Börse – Juni 2000


Der Neue Markt entwickelt sich prächtig. Wenn man nur irgendwelche Aktien besitzt, dann verdoppelt sich der Einsatz innerhalb eines Jahres. Die amerikanischen Börsen zeigen seit 11 Jahren einen unaufhaltsamen Anstieg. So schien es zumindest bis vor kurzem noch zu sein. Nachdem nun schon an jedem Stammtisch die Freunde und Nachbarn erzählen, wieviel sie wieder an der Börse gewonnen haben, glaubt mittlerweile fast jeder, er sei ein Dummkopf, wenn er nicht dabei sei. Internet Trader wie Consors und Direktanlagebank, von den Amerikanern ganz zu schweigen, machen es immer leichter, mitzumachen. Im Sekundenhandel kann man sich ein verbindliches Angebot holen und dieses innerhalb einiger Sekunden verbindlich annehmen oder ablehnen. Einfacher geht es kaum noch.

Jederzeit kann man sich die Preiskurven des Tages, der Woche, des Monats oder mehrerer Jahre auf den Bildschirm holen. Dort sieht man auch ganz deutlich, wie einfach es ist, Gewinne zu machen. Die Kurven zeigen Höcker, nach oben wie nach unten. Man braucht also bloß auf so einen Höcker nach unten zu warten, die Aktien zum Tiefstpreis zu kaufen und dann auf einen entsprechenden Höcker nach oben zu warten, um sie zum Höchststand wieder zu verkaufen. Wer noch mehr herausholen will, kann mit Limits, Stop Loss Orders, Optionen, Futures handeln und den Computer die Arbeit für sich machen lassen.

Was hat es nun wirklich mit der Börse auf sich? Ist sie ein Spielsalon, an dem man nur gewinnen kann? Gibt es Regeln, deren Befolgung den Gewinn garantiert oder zumindest wahrscheinlicher macht? Die meisten Hobby-Spekulanten glauben inbrünstig, mindestens eine solche Methode gefunden zu haben, und nicht einmal Mensaner sind vor diesem Irrtum gefeit. Nur, wer ein gewisses Maß an kritischer Selbstkontrolle und scharfem Verstand hat, sagt sich sofort, dass man mit jeder solcher Methode innerhalb weniger Jahre unermesslich reich werden könnte, wenn sie denn wirklich funktionieren würde. Schaut man sich den Reichtum der Hobby-Spekulanten an, so bröckelt die Überzeugung schon etwas ab.

Aber was ist mit den Trends? Man kann doch beim Anblick der Kurven der Börsenindizes oder einzelner Wertpapiere auf den ersten Blick Trends erkennen. Sie steigen eine Weile, dann gibt es einen Knick, dann fallen sie eine Weile und so weiter. Man braucht also nur auf einen solchen Trend zu warten, einzusteigen und nach einer Weile, oder, wenn man noch geldgieriger ist, erst kurz, nachdem der Trend aufhört, wieder auszusteigen. In der Tat hat diese Methode whrend der letzten 11 Jahre auf dem amerikanischen Markt und mehr oder weniger auch bei uns funktioniert. Daher kommt die derzeitige Börsen-Euphorie. Jede Methode hat funktioniert, solange sie nur die Komponente enthielt, dass man Aktien besitzt oder anderweitig vom Preisanstieg der Aktien profitiert. Man konnte fast nichts falsch machen. Leider wusste niemand wirklich, wie lange dieser Trend anhalten und wann er schließlich aufhören würde.

Eine beliebte Erklärung für das Aussetzen der Konjunkturzyklen ist die Theorie von der New Economy. Nach dieser führen Computer und Informationstechnologien heute, besonders in Amerika, zu einer anhaltenden Produktivitätssteigerung, und dadurch geht es jetzt immer nur noch nach oben.

Aber jetzt geschehen eigenartige Dinge. George Soros, der es doch offensichtlich mindestens so gut kann wie jeder Mensaner, hat seinen berühmten Quantum-Fund, einen der bekanntesten Hedge Funds, und gleich auch noch seinen Quota-Fund geschlossen, mit der Bemerkung: "I am very happy to pull my money out of the market." Julian Robertson schloss im März seinen ebenso bekannten Tiger-Fund. Die beiden Tiger-Fund-Manager, Stanley Druckenmiller und Nicholas Roditi, gehen in Pension. Warren Buffet, einer der reichsten Manner der Welt und ein Freund von Bill Gates, verkündete vor kurzem den Teilhabern seiner Investment-Firma Berkshire Hathaway, dass er den letztlich schon scharf reduzierten Aktienbestand weiter verringert.

Sie verlassen einen Markt, der, wie sie denken, irrational geworden ist, in dem die althergebrachten Methoden der Aktienbewertung nicht mehr funktionieren und in dem die klassischen Beziehungen zwischen physischen Werten und ökonomischen Variablen aus allen Fugen geraten sind. "The Stockmarket is now crazy-insane, unbelievably dangerous," sagt Mr Druckenmiller.

Einige dieser Investoren, wie Buffet und Robertson, hatten schon lange klargestellt, dass sie die New Economy Aktien nicht anrühren. Buffet z.B. vergleicht die Internet-Aktien mit einem Schneeballsystem, in dem die früheren Einsteiger hohe Gewinne auf Kosten der nachfolgenden machen. Andere, wie Druckenmiller, haben eher gemischte Gefühle, aber vielleicht auch nur, weil sie sich schon einmal die Finger verbrannt hatten, als sie gegen die vermeintliche Überbewertung spekulierten. Jedenfalls ist das Ergebnis, dass viele Hedge Funds erheblich schlechter abgeschnitten haben, als wenn sie sich einfach nur auf die faule Haut gelegt hätten, berhaupt keine Entscheidung getroffen hätten und statt dessen blind dem Standard & Poors Composite Index gefolgt wären.

Ist mein Nachbar, der sich am Stammtisch mit seinem Gewinn an der Börse brüstet, wirklich ein besserer Spekulant als George Soros? Es erscheint irgendwie unwahrscheinlich, denn er ist noch nicht in eine Villa umgezogen, und vor der Tür steht nicht einmal ein S-Klasse-Mercedes. Warum ist er trotz der Erfolge, die er so bereitwillig erzählt, nicht reich geworden?

Der Grund könnte sein, dass er zwar seine Erfolge erzählt, nicht aber seine Misserfolge. Vielleicht hat er sogar wirklich Gewinne gemacht, weil er irgendwann in den Bull Market (Markt mit steigendem Trend) eingestiegen ist und einfach irgendwelche Aktien gekauft und gehalten hat, aber die Gewinne hielten sich, weil er sich seiner Sache letztendlich doch nicht sicher war, in Grenzen.

Untersuchen wir einmal die Trend-Methode. Unser Nachbar hat also einen Trend erkannt und ihn ausgenutzt. Die Methode wäre also, dass man über eine gewisse Zeit beobachtet, ob die Kurse steigen oder fallen, und, wenn sie steigen, selbst mit einsteigt. Das Problem dabei ist, wie die alten Börsen-Hasen sagen: „Ein Trend ist so lange ein Trend, bis er aufhört.“ Trends kann man besonders gut erkennen, wenn sie vorbei sind. Leider weiß man nur selten vorher, wann der Trend aufhört.

Und wie ist es mit den Höckern? Auch diese sind nur gut zu erkennen, wenn sie vollständig in der Vergangenheit liegen. Man kann dies leicht testen, indem man beliebige Preiskurven ausdruckt, die rechte Hälfte abdeckt und sie dann einem der cleveren Hobby-Investoren mit der Frage vorlegt, ob sie hier kaufen oder verkaufen würden. Natürlich muss man darauf achten, dass die Testperson aus der Anordnung der Kurve auf dem Papier nicht das Minimum und Maximum erraten kann. Man sollte daher besser die Vergangenheit und Zukunft mit getrennter Autoskalierung auf getrennte Blätter drucken.

Wenn man einen solchen Versuch wirklich machte und dabei Kurven aus verschiedenen Zeiten verwendete und nicht nur solche mit einem durchgängigen Trend, so würde sich herausstellen, dass die Testpersonen zu exakt 50% richtig und zu 50% falsch raten.

Wie steht es denn mit dem Langzeit-Durchschnitt der Aktien? Man konnte gelegentlich Artikel lesen, die zeigten, dass die durchschnittliche Rendite an der US-Börse ber die letzten 100 Jahre 13% war, im Gegensatz zu den risikoarmen Bonds, die nur ca. 6% erzielten. Aber auch dies erwies sich als falsch, wie eine neuere Studie zeigte. Der Fehler lag darin, dass frühere Studien sich an Aktien-Indizes orientierten. Die verwendeten Indizes verfolgten aber nicht den Durchschnitt aller Aktien, sondern eine Auswahl, die regelmäßig verändert (angepasst) wird. Gibt man diese Anpassungen auf, dann ergibt sich für die Gesamtbörse—oh Wunder—ebenfalls eine Durchschnittsrendite von 6, allenfalls 7%.

Die Preiskurven sind, obwohl dies für den Laien nicht so scheint, fraktal, sie schwanken im Kleinen gerade so wie im Großen, und sie haben keine erkennbaren Regelmäßigkeiten. Es gibt viele "Chartisten", die glauben, aus der vergangenen Form der Kurven ihre Zukunft vorhersagen zu knnen. Hier gibt es so viele Methoden wie Chartisten, und die meisten sind blanker Unfug. Es gibt jedoch einige Mathematiker, ausgerüstet mit dicken Computern, die die Unmengen der historischen Daten mit verschiedensten mathematischen Methoden nach Regelmäßigkeiten absuchen und die auch immer wieder einmal eine finden. So wurde z.B. vor ein paar Jahren eine Tokio-Mittagspausen-Anomalie entdeckt. Mit viel Startkapital kann man an solchen Anomalien tatsächlich Geld verdienen, wobei man aber gleichzeitig die Anomalie oder Regel bis zur Unkenntlichkeit dämpft. Wenn man weder über die dicken Computer, noch über die Datenquellen noch über das Startkapital, noch über die mathematischen Kenntnisse verfügt, dann ist es weiser, sich aus dem Chartismus herauszuhalten.

Gibt es denn gar keine Methode, als Kleinanleger an der Börse mehr Geld zu verdienen als 5% mit einem risikoarmen Geldmarktfonds? Vielleicht doch, aber jedenfalls nicht mit selbsterdachten chartistischen Methoden. Die besten Chancen hat jemand, der seine Spekulantenleistung ständig kritisch überprüft. Dabei gibt es allerdings nur zwei mögliche Ergebnisse: Entweder die Methoden funktionieren nicht, jedenfalls nicht wiederholbar, oder eine Methode stellt sich tatschlich als funktionierend heraus. In diesem letzteren Falle wird jeder vernünftige Mensch allerdings seinen Einsatz erhöhen und das Geld sich exponentiell vermehren lassen, denn jede Methode, die auch nur 25% Rendite im Jahr erwirtschaften kann, führt bei einem Einsatz von mageren 10.000 DM schon nach 21 Jahren zur ersten Million.

Und wie ist es mit dem gegenwärtigen Trend, in dem so viele und immer noch mehr Kleinanleger versuchen mitzuschwimmen? Die große Frage ist: Wann hört er auf? Und wie? Mit einem Crash etwa?

Dass er aufhören wird, ist leicht vorherzusagen, denn viele Aktien sind so extrem überbewertet, dass eine erhebliche Korrektur unvermeidlich ist. Nur ist es leider auch hier wieder leicht, vorherzusagen, dass etwas passiert, aber schwierig, vorherzusagen, wann genau es passieren wird. Meiner persönlichen Meinung nach stehen die Zeichen auf Sturm, und ich persönlich spekuliere jetzt darauf, dass die Preise bestimmter Marktsegmente (Internet-Aktien) bald, also in diesem oder im nächsten Jahr, sinken werden. Sollte ich mich allerdings irren, so kann ich mich wenigstens mit George Soros in guter Gesellschaft fühlen.

Nachtrag: Die Internet-Aktien sind schon so weit gesunken, dass ich mich inzwischen weit in der Gewinnzone bewege. Aber das will noch nichts heißen. Der Leser und ich haben ja inzwischen begriffen, dass Methoden wie z.B., dass man seinen Gewinn bei einer bestimmten Grenze realisieren sollte, im Durchschnitt keinen Vorteil erbringen. Daher muss man konsequenterweise so lange "drin bleiben", bis sich eine fundamentale Idee vollständig realisiert hat. Und der Abschwung bei größeren Abwärtskorrekturen dauerte in der Geschichte der Börsen oft Jahre.


Optionen

Was ist eine Option?


Dieses finanzielle Instrument mit großer „Hebelwirkung“ ist für den Uneingeweihten anfangs etwas schwierig zu begreifen. Ist die Option nur etwas für Profis?

Eine Option (in Deutschland auch Optionsschein genannt, und hier gibt es noch ein paar Unterscheidungen, die man im Ernstfall kennen sollte) ist ein Berechtigungsschein, an oder bis zu einem bestimmten Datum eine bestimmte Menge (meist 100) der zugrundeliegenden Werte (z.B. Aktien) zu einem in der Option festgelegten Basispreis zu kaufen (Call) oder zu verkaufen (Put). Die Option selbst wird gehandelt und kann in einem liquiden Markt jederzeit gekauft oder verkauft werden.

Optionen eignen sich gut für Richtungsspekulationen. Wenn ich überzeugt bin, dass der Preis eines gehandelten Wertes steigen wird, kaufe ich Call-Optionen auf diesen Wert, meine ich, dass er sinken wird, kaufe ich Put-Optionen. Umgekehrt kann ich auch selbst Optionen ausstellen, die ich dann gegebenenfalls zu ihrem Auslaufdatum erfüllen muss, aber das ist etwas umständlicher und enthält, wenn man den zugrundeliegenden Wert gar nicht besitzt, ein potentiell grenzenloses Risiko, so dass Kleinanleger Optionen lieber kaufen und das Ausstellen den Profis überlassen.

Nein, Optionen sind nicht nur etwas für Profis. Für sie gelten dieselben Regeln wie für alle anderen Wertpapiere. Sie haben zu jeder Zeit den richtigen Preis, wenn man von Randeffekten wie Transaktionskosten und geringer Markt-Liquidität absieht. Steht man also mit einer Option unter einem größeren Zeitdruck, sie vor dem Verfallsdatum noch zu verkaufen? Muss man sich um eine Option mehr kümmern als um eine Aktie? Nein, all dies sind nur landläufige Irrtümer. Solange der Markt funktioniert, also hinreichend viele Käufer und Verkäufer vorhanden sind, birgt die Option, abgesehen von ihrer größeren Hebelwirkung, keine besonderen Risiken. Man muss sich nur über die Hebelwirkung im Klaren sein, muss also wissen, dass bei einer Option das Risiko, dass ihr Wert in kurzer Zeit vollkommen verschwindet, recht hoch ist, viel höher als bei einer Aktie. Ganz im Gegenteil sind Optionen für Anfänger besonders geeignet, weil sie nur ein genau begrenztes und genau bekanntes Risiko enthalten, nämlich, dass ihr Wert auf Null sinkt, aber keine weiteren Risiken wie margin calls (Nachforderungen) mit sich bringen.

Muss ich denn eine Option, die out of the money ist, also bei gleichbleibendem Preis des zugrundeliegenden Wertes am Ende ihrer Lebensdauer nichts mehr wert wäre, vorher noch verkaufen, solange sie noch etwas wert ist? Nein, denn ihr heutiger Preis spiegelt genau die Wahrscheinlichkeitsverteilung ihres voraussichtlichen Wertes am Verfallsdatum wider, unter Berücksichtigung der risikofreien Rendite. Das ist die Basis der Formeln wie der der beiden berühmten Ökonomen Black & Scholes zur Bewertung von Optionen. (Übrigens sind auch diese Wissenschaftler vor Irrtmern nicht gefeit—Scholes ist oder war einer der Teilhaber des Long Term Capital Management—LTCM Funds, der vor einiger Zeit so spektakulär zusammenbrach, dass die amerikanische Regierung eine Gruppe von Banken zu einer Rettungsaktion überredete, weil sie berechtigte Angst vor den Wellen hatte, die ein so gigantischer Zusammenbruch in der Weltwirtschaft schlagen könnte.)

Erwartungen, dass der Preis eher steigen oder fallen könnte, gehen in diese Formeln nicht ein, weil sie bereits im heutigen Preis des zugrundeliegenden Wertes enthalten sind.


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